Dieses Haus, das als Parkhotel einige Jahre (1936 - 1959) im Besitz meiner Eltern und nach dem Tod meines Vaters (1943) im Besitz meiner Mutter war, wurde 1847 als "Seehaus" vom Schriftsteller Josef Christian Freiherr von Zedlitz erbaut, der es dann kurz vor seinem Tod 1862 an den regierenden Fürsten Adolf Herzog von Nassau verkaufte. 1893 ging es an Adolf Großherzog von Luxemburg, von dem es wiederum mein Großvater Michael Frischmuth 1907 erwarb. 1959 kaufte es der Engländer Denis James Alexander (6 th Earl of Caledon), der 1960 das Parkhotel abtragen ließ von meiner Mutter. Inzwischen befindet sich das gesamte Areal samt dem Wohnhaus, in dem ich geboren wurde, im Besitz der Familie Androsch, die an der Stelle des ehemaligen Parkhotels ein Wellness-Hotel errichten ließ.
Das Erdgeschoß hatte Mauern aus Stein, im ersten und zweiten Stock bestanden die Mauern aus Holz und Mörtel. Auch das Dach war ursprünglich aus Holz gewesen, doch wurde es später stellenweise durch haltbares Material ersetzt. Trotzdem hat es soweit ich mich erinnern kann, immer irgendwo hereingeregnet. An die dem Park zu gelegenen, übertünchten Wände hatte Moritz von Schwind Fresken gemalt, vor die man Buxbaumrondeaus gepflanzt hatte. Darin konnte man auf Holzbänken sitzen und auf einen Springbrunnen schauen, der inmitten von geometrisch angelegten Parkwegen auf der einen Parkhälfte stand, der jedoch später von einem der Form nach ähnlichen Alpengarten ersetzt wurde, was einen seltsamen Kontrast zu den im Sommer ausgesetzten Palmen bildete. Es mangelte auch dann nicht an gärtnerischer Pflege, bloß war das ursprüngliche Konzept in Vergessenheit geraten.
Den Mittelpunkt der anderen Parkhälfte bildete eine große Blutbuche, auf deren stärkstem Ast eine Schaukel hing. Weiters gab es ein Rondeau aus Nadelbäumen, Wildrosenhecken, aber auch Haselnusssträucher, eine vom Blitz gespaltene Eiche, eine Trauerweide und eine Birke. Hier verliefen die Wege etwas willkürlicher. Wo der Park aufhörte, war ein Stück Wiese mit einem aufgerissenen Baumstumpf, auf dem wilde Erdbeeren wuchsen, daneben befand sich ein Komposthaufen. Dann kam eine Ribiselhecke und dahinter lagen der Nutzgarten, das Glashaus und die Ställe für die Hühner, die Hasen und die Schweine. Das Pferd hatte der Gärtner, zu dem ich Onkel sagte und der sich den Winter über als Fuhrwerker verdingte, ebenfalls im Glashaus untergebracht. Die Gärtner, die nach ihm kamen, arbeiteten nur saisonweise und hatten keine Pferde.
Ein Teil es Wohnhauses muss früher als Stallung benutzt worden sein. In der Bügelkammer und ihm Kohlenkeller sind noch Futterraufen an den Wänden. Durch die Bügelkammer kommt man in den Eiskeller, der durch dicke, holzverkleidete Wände isoliert ist. Im Winter werden die Eisblöcke aus dem See geschnitten und in den Keller geschichtet. Meist hält sich das Eis bis zum nächsten September.
Jedes Frühjahr nach der Schneeschmelze gab es eine Überschwemmung. Der See bedeckte die etwas tieferliegende Wiese vor unserem Haus und machte vor dem Weg halt, nur der Hügel mit den Ebereschen ragte heraus. Die Pfrillen schossen durch das Gras und das Wasser war seicht und warm. Etwa alle zehn Jahre kam das Wasser über den Weg und man konnte um das Wohnhaus und um das Hotel mit der Plätte fahren. Einmal hat es die ganze Seeklause weggerissen. Das Hotel hatte unter dem Erdgeschoß einen Keller, aber er war nicht zu benutzen. Wenn man die Falltüre öffnete, konnte man das Grundwasser gurgeln hören. Dafür wurde eine der ehemaligen Stallungen des Wohnhauses als Wein- und Vorratskeller benutzt. Wenn das Wasser langsam wieder abzog, ließ es auf der Wiese Schlamm- und Holzstücke zurück, manchmal, wenn die überschwemmung erst später kam, auch dicke Schichten von Blütenstaub, die sich schmieren ließen wie schlecht verrührte Farbe.
Auf einem Foto aus den vierziger Jahren sehe ich, dass die Wiese vor dem Wohnhaus ziemlich verwildert war. Auch das Haus selbst war stark von wildem Wein bewachsen. Vor dem Fenster hingen Blumen, vor allem vor jenen zur ebenen Erde, wo der Gärtner und seine Frau wohnten. Um das Haus herum waren schmale Beete angelegt, die von weißen, faustgroßen Steinen umgrenzt waren. Die Wiese reichte bis zum lebenden Zaun, unter dem man im Frühjahr Mauerocher finden konnte.
Der Abhang, der von den Fischerer Feldern zum Wohnhaus führt, ist zum Teil mit Bäumen und Sträuchern bewachsen. Die Eibe ist der einzige Nadelbaum, vor den Hütten am Ende der Felder stehen Haselnusssträucher. An den Stellen, die nicht vom Schatten des Wohnhauses bedeckt sind, wachsen im Frühjahr die ersten Leberblümchen und manchmal sonnen sich Schlangen zwischen den Steinen.
Im März, wenn noch überall Schnee lag, aber die Sonne schon länger schien, legten wir uns oft auf den südseitigen Balkon des Hotels, das ja noch leer stand, und ließen uns braun brennen. Das Holz hatte einen warmen, sonderbaren Geruch, der sich mit dem des Sonnenöls verband und man konnte noch immer das Wasser von den Dächern tropfen hören. Auch das Zimmer, zu dem der Balkon gehörte, wirkte warm und hell, ohne dass es je geheizt wurde. Es hatte die Nummer zwölf und war im Biedermeierstil eingerichtet und an der Wand hing ein Stich, der den Kaiser Franz Joseph an seinem achtzehnten Geburtstag zeigte. Es gab überhaupt eine Reihe von Büsten und Bildern im Hotel, die scheinbar noch von der Zeit her da waren, als das Haus noch kein Hotel war.
Die Gäste, die im Sommer das Hotel bewohnten, kamen aus allen Teilen der Welt. Viele hatten Kinder oder Hunde mit. Wir spielten dann im Park oder in der Privatwohnung und wenn das Kindermädchen sich nicht mehr zu helfen wusste, sperrte sie von außen zu und ließ uns dann erst wieder zur Essenszeit heraus. Die Eltern dieser Kinder waren froh, dass sie in aller Ruhe einen Ausflug machen oder Bootfahren konnten, ohne durch die anders gearteten Wünsche ihrer Kinder gestört zu werden. Je mehr Kinder wir waren, desto mehr Sprachen wurden gesprochen: Englisch, Französisch, Schwedisch, Holländisch und andere mehr. Meist fanden wir auf dem engen Raum, auf dem Kommunikation möglich ist, zusammen. Wenn ich eines dieser Kinder wirklich mochte, nahm ich es mit ins Glashaus und zeigte ihm die kleinen Kaninchen oder den Platz, wo die leeren Blumentöpfe gestapelt lagen und wir spielten das Spiel: ist eine Spinne drin oder nicht. Das Spiel war deshalb so reizvoll für mich, weil ich große Angst vor Spinnen hatte und oft nachts nicht schlafen konnte, wenn ich eine an der Decke über mir bemerkte.
Der Ort an dem man aufwächst, ist ein besonderer Ort, der in der Erinnerung einen bevorzugten Platz einnimmt. Und das Haus bleibt das Haus und der Garten bleibt der Garten und die Vorstellung beginnt zu kreisen. Ein bestimmter Goldfisch, der an dem und dem Tag gestorben ist und an der oder der Stelle begraben worden ist, lässt ein klareres Bild zurück als der Tod des Großvaters. Die Unantastbarkeit der ersten Jahre ..... eine Mischung aus Erinnerung und dem was man gehört hat, über sich und die anderen. Ich glaube, mich gut erinnern zu können, und doch divergiert das, woran ich mich erinnere, sehr von dem, woran die meisten sich erinnern. Und auch das sind nur Punkte oder kurze Strecken, die einem bewusst bleiben und dazwischen ist nichts oder so gut wie nichts.
Wir sind zu lange geblieben ...
Als wir schließlich doch fortzogen, geschah es mit einer gewissen Erleichterung. Danach wurde das große Haus abgerissen, und was davon noch zu gebrauchen war, holten sich die Leute des Ortes und verwendeten es, wo es gerade hinpasste. Der Ort ist seither größer geworden, man hat viel gebaut. Die Stelle, an der das Haus stand, ist leer geblieben, vielleicht wäschst sie langsam zu, was ich mir nicht gut vorstellen kann. Dazu ist die Lage zu günstig, so nah beim See. Jedenfalls gibt es kaum mehr etwas, womit ich gewisse Details, an die ich mich zu erinnern glaube, kontrollieren könnte.
Dies ist kein Ort, sondern eine Krankheit, sagte der Sektionschef, wirklicher Hofrat. Zwei Tage später war er tot, gestorben in den Armen des Oberkellners, auf der hölzernen Veranda vor den Aufenthaltsräumen, nachdem er die paar Stufen vom Gastgarten noch herauf genommen hatte.
Kein Ort, sondern eine Krankheit, chronisch wie der Regen, der allemal um die kalendermäßig schönste Zeit einsetzt, dauert, Tage, ja Wochen, den Anlaß bietet zu zahllosen Anknüpfungen. Gott, woanders heizt die Sonne vom Himmel, sich in den Wagen setzen und abfahren, das Übel bei der Wurzel packen, packen schon, aber ausreißen? Um dann anderswo den Wetterbericht zu studieren, sich sagen zu müssen, dass nun auch dort die Sonne scheint, man hätte das Einmalige für etwas Diesigkeit anstatt Kälte mit dem Üblichen vertauscht. Auf der Terrasse sitzen, selbst bei Regen windgeschützt, den Trenchcoat um die Schultern, Zeitung lesen, fröstelnd von den Knöcheln aufwärts, die Welt an den Tisch bitten. Inside-Informationen, lang schon gewusst haben, wissen, wie der Hase läuft, weltweite Vertrautheit, sich engagieren oder nicht, später dann auch die Konsequenzen ziehen, natürlich, wenn was zu ziehen ist, aber hier, auf der Terrasse, höchstens zur Kenntnis nehmen, alle Welt ist gleich nah, aber der Ort, die Terrasse, hier – das ist ungeheuer weit weg von allem.
Das Wetter und wiederum das Wetter, so wie heuer war es nie, und sich doch erinnern können, dass es oft so war und trotzdem anders, ohne die Terrasse, auf der man auch bei Regen sitzen kann. Weil es früher auch die Terrasse nicht gegeben hat, gegeben schon, aber nur für die, die jedes Jahr kamen, kamen und wieder gingen, für die, sobald sie auf ihr saßen, die Welt draußen geblieben war ...
Aus dem Erzählband „Traumgrenze“
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